Mitarbeiter fordern und fördern: Ins kalte Wasser – aber bitte mit Schwimmflügeln

Letzte Woche war ich im Disneyland für HR-Profis unterwegs – auf der Messe Zukunft Personal Nord. Mickey-Mäuse gab’s dort nicht zwar nicht. Aber viele Dienstleister, Experten und Coaches, die ihre neuesten Tipps und Tricks zur Mitarbeitermotivation präsentierten.
Bei einem Impuls hörte ich einem Coach zu, dessen Namen ich hier lieber nicht erwähne 😉 Er verkündete mit breitem Grinsen: „Mitarbeiter lieben es, ins kalte Wasser geworfen zu werden. Vielleicht nicht sofort, aber irgendwann danken sie es Dir.“
Ein Satz, bei dem sich mir direkt die Magengrube umgedreht hat. Um mich herum standen mehrere Personalerinnen. Und einige von ihnen verließen sofort kopfschüttelnd den Bereich. Sie wollten „sich das nicht antun“. Anscheinend tat ihnen das Zuhören genauso weh wie mir…
Ganz ehrlich: Als Arbeitspsychologin halte ich überhaupt nichts von dieser Art der Führung. Natürlich sollst Du dein Team fordern. Aber die Methode „Friss oder stirb“ – ist saugefährlich.
Denn was bedeutet es, jemanden ins kalte Wasser zu werfen? Dass wir Menschen Aufgaben übertragen, für die sie gar nicht die richten Kompetenzen mitbringen oder für die ihnen die richtigen Werkzeuge fehlen, um sie zu bewältigen.
Warum „Learning by Panic“ keine gute Führungsmethode ist
Erinnerst Du dich an deine erste Fahrstunde mit dem Auto? Ich kann mich noch genau erinnern. Wir waren außerhalb der Stadt „auf dem Dorf“, auf einer kleinen Straße. Wir haben immer wieder geübt, das Auto zu starten, langsam loszufahren und einmal im Kreis wieder zum Ausgangspunkt zurückzukommen.
Quasi kein Verkehr dort und eine sehr übersichtliche Situation. Und ich war schon sehr am Schwitzen und musste mich enorm konzentrieren. Ich stelle mir grade vor, mein Fahrlehrer hätte mich direkt in Leipzig auf den Ring fahren lassen…

Wurdest Du als Führungskraft vielleicht selbst schon einmal in ein völlig neues Projekt hineingeworfen, ohne die nötige Erfahrung mitzubringen, ohne Informationen oder klare Erwartungen bekommen zu haben?
Ich kenne das sehr gut. Ich habe häufig Aufgaben zugerufen bekommen und musste mir die Ausgestaltung und Spielräume selbst erarbeiten. Teilweise bei großen Projekten, wo es keinerlei Auftragsklärung gab. Ich denke, wir kennen alle Situationen, in denen wir uns plötzlich überfordert fühlen, weil wir keine Orientierung haben.
Aus psychologischer Sicht produziert dieses Vorgehen aber vor allem Stress und Unsicherheit. Dabei zeigt die Gehirnforschung ganz deutlich, dass Menschen unter Stress schlechter lernen, weniger kreativ sind und häufiger Fehler machen.
Laut einer aktuellen Studie des McKinsey Health Institute verspürt jeder fünfte Beschäftigte in Deutschland Burnout-Symptome wie Dauermüdigkeit, Konzentrationsstörungen oder eine starke Ablehnung gegenüber der eigenen beruflichen Tätigkeit. Mehr als ein Drittel gibt sogar an, körperliche und geistige Erschöpfung zu erleben. Als Hauptgründe werden hier die toxische Arbeitsumgebung und unklare Rollen genannt.
„Learning by Panic“ mag kurzfristig sogar funktionieren – aber der Preis, den Du als Führungskraft zahlst, ist hoch. Die Mitarbeitenden fühlen sich im Stich gelassen, entwickeln Misstrauen und machen mehr Fehler. Und ganz nebenbei wirkst Dun schlecht organisiert und unstrukturiert in deiner Führungsarbeit. So entsteht sicher kein Hochleistungsteam. Höchstens ein Team, in dem alle nur noch Dienst nach Vorschrift machen.
Mitarbeiter fordern – aber mit Sicherheit im Rücken
Natürlich musst und darfst Du Dein Team herausfordern. Deine Teammitglieder können sich nur weiterentwickeln, wenn sie aus ihrer Komfortzone herauskommen. Aber Dein Job als Führungskraft ist es, hier eine gute Balance zu finden. Du solltest Deine Mitarbeitenden dabei begleiten, Herausforderungen erfolgreich zu meistern, indem Du klare Rahmenbedingungen schaffst.
Delegiere nicht einfach die Aufgabe und lehn‘ Dich zurück. Stattdessen:
- Kommuniziere, was genau Du erwartest.
- Welche Ressourcen stehen zur Verfügung?
- An wen kann sich dein Team wenden, wenn es Fragen hat?
- Gib Deinem Team Aufgaben, die anspruchsvoll sind, aber nicht überwältigend.
- Und sei präsent, um Unterstützung zu geben, wenn sie gebraucht wird.
Genau das verstehe ich unter „Führen im Flow“. Du bist weder Helikopterchef noch ein Chef, der nur noch von der Seitenlinie kommentiert. Stattdessen gibst Du Deinen Mitarbeitenden Raum zum eigenständigen Handeln und bist gleichzeitig nah genug dran, um rechtzeitig reagieren zu können. Wie Du ein solches Umfeld schaffen kannst, beschreibe ich auch in meinem Artikel „Führen im Flow – High Performance ohne Ausbrennen“.
Drei konkrete Strategien, wie Du Mitarbeiter richtig forderst und förderst
Hier sind drei ganz konkrete Methoden, mit denen ich als Führungskräfte-Coach gute Erfahrungen gemacht habe:
Klare Ziele statt Ratespiele
Definiere im Vorfeld klar, was Du von Deinem Mitarbeiter oder Deiner Mitarbeiterin erwartest.
- Wie sieht Erfolg aus?
- Welche Kriterien gelten für ein gutes Ergebnis?
- Und ganz wichtig: Was möchtest Du auf keinen Fall sehen? Je klarer Du bist, desto sicherer fühlt sich Dein Team.
Starthilfe statt Freischwimmen
Lass neue Mitarbeitende zunächst von erfahrenen Kollegen lernen. Shadowing, also das Begleiten eines erfahrenen Teammitglieds über einige Stunden oder Tage, ist oft deutlich wirksamer als das reine Lesen von Anleitungen. Der oder die Neue lernt schneller, macht weniger Fehler und fühlt sich nicht allein gelassen.
Feedback in Echtzeit
Warte nicht auf Fehler. Begleite dein Teammitglied mit regelmäßigen, kleinen Feedbacks von Anfang an. Nimm Dir einfach Zeit für kurze Check-ins. Frag, was gut läuft, was unklar ist und ob zusätzliche Unterstützung nötig ist. Ich weiß, dass das viel Arbeit ist. Aber es lohnt sich nach hinten raus wirklich sher! Wie genau konstruktives Feedback aussehen kann, wenn doch mal etwas nicht zu Deiner Zufriedenheit läuft, findest Du detailliert in meinem Artikel „Kritisches Feedback richtig geben: Praxisguide für Deinen Führungserfolg“. Dieses Vorgehen schafft Vertrauen und verringert die Angst, Fehler zu machen.
Wann „ins kalte Wasser werfen“ tatsächlich funktioniert
Ja, manchmal funktioniert auch der Sprung ins kalte Wasser – unter einer wichtigen Voraussetzung: nämlich dann, wenn Dein Mitarbeiter oder Deine Mitarbeiterin schon genug Erfahrung hat. Wenn er oder sie sich der Herausforderung bewusst ist und vor allem weiß, dass Du als Führungskraft jederzeit ansprechbar bleibst. Dann kann das kalte Wasser auch motivierend und erfrischend sein. In solchen Fällen erleben Mitarbeitende oft eine Art „Flow“, bei dem sie über sich hinauswachsen.
Fazit: Richtig fordern und fördern – die Basis für High Performing Teams
Wirf Deine Mitarbeitenden bitte nicht einfach ins kalte Wasser! Als Führungskraft ist Deine Aufgabe, Menschen zu entwickeln und ihnen dabei zu helfen, ihre beste Leistung abzurufen. Das klappt aber nur, wenn Du eine gute Balance zwischen Forderung und Unterstützung findest. Denn ein Hochleistungsteam entsteht mit Sicherheit nicht unter Panik oder Angst, sondern dann, wenn Menschen wachsen dürfen und dabei wissen, dass sie Rückendeckung haben.